Meine Mutter ist Schneiderin. Ich bin zwischen Schnittmusterbögen, Stoffen, Knöpfen, Nadel und Faden groß geworden. Oft saß ich auf einem Stuhl neben ihr, wenn sie für uns Kinder Sachen nähte oder Änderungsarbeiten erledigte, um die Haushaltskasse aufzubessern. Ich konnte endlos lange mit den Knöpfen spielen, diese nach Größe oder Farbe sortieren … ich habe deren Muster bewundert, manche glitzerten, schillerten, manche waren schwer, manche ganz leicht. Ich habe meine Mutter beobachtet, wie sie die Nadeln zwischen den Lippen hielt und diese wieder wie automatisch herauszog, wenn sie eine brauchte. Das Rattern der Maschine, die schnellen Griffe nach dem Stoff, der Schere oder sonstigen Zutaten, das Lenken des Stoffes unter dem Nähmaschinenfüßchen – jeder Handgriff saß.
Ich liebe es noch heute, Menschen bei der Arbeit zuzuschauen.
Bei meiner derzeitigen, recht freien Arbeit für den Staatspreis NRW bemerke ich wie sehr mich Erlebtes, Gesehenes und Erinnerungen, wie diese an meine Kindheit beeinflussen.
Ich arbeite häufig intuitiv, lasse mich Schritt für Schritt durch die Arbeit leiten beobachte, was entstanden ist, spüre in mich hinein, spiele mit den Formen – ähnlich wie früher mit den Knöpfen.
Da bemerke ich zum Beispiel, wie sehr es mich anrührt, den goldenen Trauring in dieser Mulde liegen zu sehen – als hätte er ein Zuhause gefunden. Es ist eine Augenweide entstanden, die ich nicht mehr zerstören möchte.
Ich merke wie mir beide Seiten gleichermaßen gefallen und ich sie immer wieder hin und her drehen möchte. Also steht schnell fest, dass es keine Brosche werden kann, bei der ich ein Vorne definieren müsste.
Der Ring soll dort bleiben, aber irgendetwas sagt mir, dass ich ihn dort nicht für alle Ewigkeiten fixieren darf. Ich muss also mein Terrain verlassen, wenn ich ihn nicht festlöten möchte. Und da liegt es doch nahe auf die Technik meiner Mutter zurückzugreifen. Und schon tauchen die faszinierenden Schnittmusterbögen meiner Kindheit vor meinem geistigen Auge auf.
Das Foto zeigt Bilder meiner Entwurfs- und Findungsphase. Es gibt noch viele Entscheidungen zu treffen und in vieles hineinzuspüren. Aber manchmal muss eine Arbeit erst ruhen, um dann nach Tagen wieder mit etwas Abstand angeschaut zu werden.

Eine Antwort
Wenn eine Geschichte einen am lesen hält, auch wenn einem das Thema fremd ist oder man noch nicht weiß, worauf der Erzähler hinaus möchte, ist es gut geschrieben. Ich bin zwar etwas befangen, da ich dich kenne, behaupte aber, dass auch unbefangene Menschen deinen Text bis zum Ende lesen werden und sich zum Schluss unterhalten gefühlt haben. Er löst auch viel Gefühl aus, da man sich in seine eigene Kindheit zurückversetzt fühlt. Jeder hat irgendwie bei den Eltern oder Großeltern gesessen, während sie gewerkelt haben. A.P.